Ukrainehilfe hautnah

Sport verbindet. Nie war diese Aussage zutreffender als heute

Stefan mit Olena, Egor und Lora in der neuen Wohnung.

Schon vor einigen Jahren, während Menschen auf ihrer Flucht ein sicheres Leben in Deutschland suchten, hat sich der SV Westfalen mit einem Wasserballtunier, an dem die "geflüchtete" syrische Wasserballnationalmannschaft teilgenommen hat, engagiert.

Nun kam ein Hilferuf aus der Ukraine. Bekannt ist der SV Westfalen Dortmund dort aufgrund seiner Swim Race Days. Stefan Ryschawy hat diesen Hilferuf erhalten. Seine Erlebnisse hat er in dem folgenden Artikel zusammengefasst.

Wir danken Stefan für sein Engagement und allen die ihm geholfen haben sich um die Familie zu kümmern.

Bericht von Stefan

Unter den Teilnehmern der Swim Race Days 2019 war auch der damals 10-jährige Egor aus der Ukraine. Zusammen mit seinen Eltern besuchte er Dortmund und war so begeistert, dass er auch 2020 wiederkommen wollte. Diesen Besuch musste die Familie dann aber wegen der gerade aufkommenden Corona-Pandemie absagen.

Dennoch ist der Kontakt zu mir nicht abgerissen. Noch im vergangenen Dezember wurde ich gefragt, ob 2022 die Race Days wieder stattfinden, sie würden so gerne kommen. Leider musste nun ich verneinen.

Dann kam der 24. Februar 2022 – der Krieg in der Ukraine brach aus. Nur wenige Tage später erhielt ich einen Hilferuf von Egors Mutter Lora: „Vor drei Jahren haben wir Ihre Wettbewerbe genossen, und heute bleiben wir in den Kellern, es ist die Hölle in der Ukraine!“. Weiter schrieb sie, dass sie im fünften Monat schwanger sei und mit Egor, ihrer Mutter, einer Katze und einem kleinen Hund im Auto sitzen würde. „Wir planen zu gehen, wir wissen nicht, wo und wie lange es dauert, um an die Grenze zu kommen, aber wir müssen es versuchen.“ Sie fragte mich, ob ich ihr helfen könnte, eine Unterkunft in Dortmund oder Umgebung zu finden, während sich ihr Mann „in Kiew streiten“ muss. Ich brauchte keine zwei Minuten, um ihr meine und unsere Unterstützung und Hilfe anzubieten.

 

Lora beschrieb mir ihren Aufbruch so:

„24. Februar, der Morgen beginnt wie ein normaler Arbeitstag. Der Wecker klingelt, aufstehen, Nachrichten hören und ´Krieg´ verstehen! Dein Gehirn kann es nicht glauben, gestern ein normaler Abend mit dem Wunsch zu einer guten Nacht und heute ist alles anders: gemein, frech, schmutzig… ein „Nachbar“ ist ohne Grund oder Einladung in dein Haus gestürmt. Die Stadt ist im Stau eingefroren und die Fahrt von 30 Minuten dauert nun einen halben Tag. Die Menschen haben Angst vor dem Unbekannten.“

 

Was dann geschah war einfach unglaublich! Ein kurzer Aufruf per E-Mail und WhatsApp und die Welle der Unterstützung lief an. Schon am gleichen Abend erhielt ich ein Wohnungsangebot aus Gelsenkirchen, einen Tag später eins für Dortmund, für welches ich mich dann auch entschieden habe. Und während die Wohnung nun in den letzten zwei Wochen renoviert wurde, kamen immer mehr Spenden von Freunden, Bekannten, Vereinsmitgliedern und Freunden des Vereins zusammen: Möbel für alle Räume, Decken- und Tischlampen, Geschirr, Besteck, Töpfe und Pfannen, Bettwäsche, Staubsauger, Handtücher, Küchengeräte, Gläser, selbst ein Fahrrad und ein Notebook für Egor wurden abgegeben. Unterstützung bei der Übersetzung, einer Covid-Impfung und bei Fragen zur Sozialhilfe wurden ebenfalls angeboten. All das zeigt, dass der Sport nicht nur aus dem Wettstreit untereinander besteht. Sport verbindet Menschen und Nationen. Sport baut Grenzen ab. Die Hilfsbereitschaft und Unterstützung, die ich erfahren habe, stellt auch die soziale und gesellschaftliche Bedeutung des Sports und des Vereins dar. Und sie zeigt auch, wie wichtig Freunde sind!

 

 

In der Zwischenzeit haben sich Egor, seine Mutter Lora und seine Oma Olena auf den Weg nach Deutschland gemacht. „Unsere erste Entscheidung war, zu unserem Landhaus zu fahren, raus aus Kiew. Es schien und die beste Option zu sein, aber wir haben uns geirrt. Das Haus liegt zwischen den Städten Gostomel und Borodyanka, die als erstes bombardiert wurden. Nach einer schlaflosen Nacht beschlossen wir innerhalb von fünf Minuten aufzubrechen. Lasst uns gehen… wohin? Wie weit? Wie lange? Alles unbekannt. Ich dachte ´Was ist zu tun? Was sollen wir tun?´ Es gab viele Gedanken in meinem Kopf, aber auf welche sollte ich hören? Stefan! Ich weiß nicht warum, aber dieser Name blitzte in meinem Kopf auf. Nachdem ich eine Mail geschrieben hatte, rechnete ich nicht sofort mit einer Reaktion, es war ein Versuch, meine Kinder zu schützen. Aber die Reaktion kam sofort! Anscheinend gibt es da oben im Himmel jemanden, der mich liebt!“

 

Auf ihrem Weg aus Kiew heraus zur polnischen Grenze begegneten sie immer wieder mehreren russischen Kampfpanzern und Kampfjets.  Auch Detonationen waren unüberhörbar. Nach mehreren Stunden erreichten sie die Grenze, wo sie weitere 27 Stunden verharren mussten. Nach zwei weiteren Übernachtungen im Auto im Raum Krakau und Dresden erreichten sie schließlich nach gut 1200 Kilometern am 7. März gegen 17 Uhr Dortmund.

 

„Nun sind wir unterwegs. Es war ein schwieriger Weg. Zum ersten Mal muss ich über 24 Stunden Auto fahren. Aber ich hatte keine andere Wahl, ich wusste auch nicht, woher ich die Kraft dazu nehmen sollte. Dortmund – Freude, Tränen, wir haben es geschafft! Stefan und nochmal Stefan! Nach drei Jahren wieder im Südbad und wieder im März!“

 

Da ihre Wohnung noch nicht bezugsfertig war, haben sie zunächst eine Unterkunft bei Kirsten und Jörg Husemann erhalten. Im Souterrain ihres Hauses haben sie einen Raum hergerichtet, in dem Egor, Lora und Olena mit dem nötigsten ausgestattet sind und sich weitestgehend selbst versorgen können. Hier haben sie sich in den ersten Tagen von den Strapazen der Flucht erholen können.

 

„Uns wurde unser ganzes Leben gesagt, dass Russen und Ukrainer Brüder seien, aber das stellt sich jetzt als völlig anders heraus. Durch einen Mann – Putin. Aber die Deutschen sind uns näher, als unsere Brüder. Es ist unmöglich, unsere Dankbarkeit in Worte zu fassen! Stefan, Jörg, Kirsten, Saskia, Moritz, Katharina, Natalia und viele viele Menschen, die für uns Nichts waren, sind für uns Alles geworden! Der Verein, das Team – das kann man nicht lernen. Ein Sportteam ist eine echte Familie – nah, lieb, freundlich. Vielen Dank für alles! Von einer solchen Einstellung konnten wir nicht einmal träumen!“

 

Spaziergänge im Romberg- und Westfalenpark sowie am Phönixsee brachten etwas Normalität in den Alltag, der dennoch von Ängsten und Sorgen um ihre Heimat und vor allem um Misha, Loras Mann und Egors Vater, geprägt ist. „Und heute beginnt mein Morgen natürlich mit einem Anruf bei meinem Mann in Kiew. Es ist mir wichtig, seine Stimme zu hören, weil es bedeutet, dass er lebt.“

 

Ein Besuch im Südbad, wo bekannte Gesichter aus 2019 anwesend waren, hat auch schon stattgefunden. Die Freude „alte Bekannte“ wiederzusehen, war natürlich groß. Der Besuch des Dortmunder Zoos sorgte für weitere Abwechslung. Ein Highlight war für Egor das UEFA Youth-League-Spiel zwischen dem BVB und Atletico Madrid im Stadion – natürlich mit Stadionwurst und einer Cola (und die in einem Becher mit dem Bild seines Lieblingsspielers Erling Haaland). Das passende Trikot hat Egor natürlich auch schon geschenkt bekommen. Lora bedankte sich mit den Worten „danke für die funkelnden Augen meines Sohnes!“

 

Den Gang zum Sozialamt hat Lora auch schon hinter sich. Nun steht als nächstes der Termin bei der Ausländerbehörde an. Dort soll dann unter anderem über den Schulbesuch von Egor gesprochen werden. Bis dahin hat er zwei drei Mal in der Woche „home-schooling“ mit seiner Lehrerin aus Kiew. Und auch für Lora und Olena heißt es lernen. Sie haben sich über MigraDo zu einem Deutschkurs angemeldet und schon die ersten drei Doppelstunden absolviert.

 

Final steht nun noch der Umzug in ihre eigene Wohnung an. Die Renovierung ist abgeschlossen, lediglich Sanitäreinrichtungen werden noch erneuert. Die Möbel sind auch schon weitestgehend aufgebaut, Lampen installiert und ein wenig dekoriert. Und Dank der eingegangenen Geldspenden kann ich die Wohnung dann auch mit einem gefüllten Kühlschrank übergeben.

 

„Bis heute haben einige meiner Freunde bereits keine Häuser mehr. Raketen sind einfach hineingeflogen und es ist nicht bekannt, was nun mit ihnen passiert. Ich hoffe, dass diese Hölle in Kiew bald enden wird und ich meinen Mann wiedersehen werde. Aber jetzt ist es meine Aufgabe unser Baby unter meinem Herzen zu tragen, mich um meinen ältesten Sohn zu kümmern und für ihren Vater zu beten!“